Inwiefern die biblische Königin Esther ziemlich gut in unsere Zeit passen würde: Glaube lässt sich nicht aberziehen. Gedanken zu Est 4,17k-7.


(k) Auch die Königin Ester wurde von Todesangst ergriffen und suchte Zuflucht beim Herrn. Sie legte ihre prächtigen Gewänder ab und zog die Kleider der Notzeit und Trauer an. Statt der kostbaren Salben tat sie Asche und Staub auf ihr Haupt, vernachlässigte ihren Körper, und wo sie sonst ihren prunkvollen Schmuck trug, hingen jetzt ihre Haare in Strähnen herab. Und sie betete zum Herrn, dem Gott Israels: (l) Mein Herr, unser König, du bist der Alleinzige. Hilf mir! Denn ich bin hier einzig und allein und habe keinen Helfer außer dir; die Gefahr steht greifbar vor mir.

(m) Von Kindheit an habe ich in meiner Familie und meinem Stamm gehört, dass du, Herr, Israel aus allen Völkern erwählt hast; du hast dir unsere Väter aus allen ihren Vorfahren als deinen ewigen Erbbesitz ausgesucht und hast an ihnen gehandelt, wie du es versprochen hattest. (n) Wir aber haben uns gegen dich verfehlt und du hast uns unseren Feinden ausgeliefert, weil wir ihre Götter verehrt haben. Du bist gerecht, Herr. (o) Jetzt aber ist es unseren Feinden nicht mehr genug, uns grausam zu unterjochen, sondern sie haben ihre Hände zum Schwur auf die Hände ihrer Götterbilder gelegt, dein Versprechen zu vereiteln, deinen Erbbesitz zu vernichten, den Mund derer, die dich loben, verstummen zu lassen und das Licht deines Tempels und das Feuer auf deinem Altar auszulöschen. (p) Stattdessen wollen sie den Heiden den Mund öffnen, damit sie ihre nichtigen Götzen preisen und auf ewige Zeiten einen sterblichen König verherrlichen. (q) Überlass dein Zepter, Herr, nicht den nichtigen Götzen! Man soll nicht höhnisch über unseren Sturz lachen. Lass ihre Pläne sich gegen sie selbst kehren; den aber, der all das gegen uns veranlasst hat, mach zum warnenden Beispiel! (r) Denk an uns, Herr! Offenbare dich in der Zeit unserer Not und gib mir Mut, König der Götter und Herrscher über alle Mächte! (s) Leg mir in Gegenwart des Löwen die passenden Worte in den Mund und stimm sein Herz um, damit er unseren Feind hasst und ihn und seine Gesinnungsgenossen vernichtet! (t) Uns aber rette mit deiner Hand! Hilf mir, denn ich bin allein und habe niemand außer dir, o Herr!

(u) Du kennst alles. Du weißt auch, dass ich den Prunk der Heiden hasse und das Bett eines Unbeschnittenen und Fremden verabscheue. (v) Du weißt, dass ich das Zeichen meiner Würde verabscheue und es an den Tagen meines öffentlichen Auftretens nur unter Zwang auf dem Kopf trage. (w) Ich verabscheue es wie die Tücher zur Zeit meiner Regel und trage es nicht an den Tagen, an denen ich meine Ruhe habe. (x) Deine Magd hat nicht am Tisch Hamans gegessen, ich habe keinem königlichen Gelage durch meine Anwesenheit Glanz verliehen und habe keinen Opferwein getrunken. (y) Seit deine Magd hierherkam, bist du für sie der einzige Grund, sich zu freuen, Herr, du Gott Abrahams. (z) Gott, du hast Macht über alle: Erhöre das Flehen der Verzweifelten und befrei uns aus der Hand der Bösen! Befrei mich von meinen Ängsten!


Esther soll niemanden merken lassen, wo sie herkommt.

Die Geschichte von Königin Esther könnte die Geschichte vieler junger Menschen im 21. Jahrhundert sein: Als ganz junger Frau werden ihr Identität und Glaube sozusagen „aberzogen“: Sie soll den Glauben nicht zeigen, sie soll niemanden merken lassen, woher sie kommt. Sagt ausgerechnet ihr Vormund, der fromme Jude Mordechai, der Beamter am heidnischen Hof ist. Er will, dass die junge Frau Karriere macht und Ansehen gewinnt, dass sie Königin wird. Das wird sie auch, und sie fügt sich in ein durch und durch säkulares Machtgefüge am Hof des Artaxerxes ein. Und als der säkulare Staat im Antisemitismus versinkt, ist es dann aber wieder Mordechai, der plötzlich möchte, dass sich Esther bekennt und eingreift. Das ist gefährlich: Eine solche Einmischung könnte die Königin das Leben kosten. Sie muss abwägen: Versucht sie den mordlüsternden Antisemiten aufzuhalten oder schaut sie auf das, was sie sich erarbeitet hat?

Sie entscheidet sich für den gefährlichen Rettungsversuch: das ist die Notlage, die „Todesangst“ (Est 4,17k). Das biblische Buch kommt ohne Gott aus. Er wird nicht genannt und tritt nie auf: Die beiden Gebete von Esther (Est 4,17k-z) und zuvor jenes von Mordechai (Est 4,17a-i) sind griechische Einschübe, aber obschon es die hebräische Vorlage nicht ausdrücklich beschreibt, ist auch dort die Haltung der Frau eine betende. Was in jedem Fall klar ist: Angesichts der Frage nach der eigenen Existenz bricht die Beziehung zu Gott auf: „Ich bin allein und habe niemand außer dir, oh Herr“ (Est 4,17t). Dieses Vertrauen kann sie eigentlich gar nicht haben, wenn man ihre Lebensgeschichte bedenkt. Sie hat nie erfahren, dass Gott jemand ist, der einen beschützt. Ihre Welt besteht aus den Götzen einer säkularen Königsherrschaft, in der Schönheit, Machtspiel und zwischenmenschliche Taktik gefragt sind.

Glaube an Gott hängt nicht von der Frage ab, ob er tradiert wird.

Wie in modernen Ländern unserer Zeit, in denen beispielsweise das Christentum für Generationen als überholt aberzogen wurde. Königin Esther ist ein Beispiel, dass der Glaube an Gott nicht zwingend davon abhängt, ob er tradiert und gepflegt wird. Gott ist da, auch wenn er jahrelang nicht angesprochen wurde, wenn er dauerhaft nicht gepriesen wurde, wenn die Menschen seinen Namen nicht mehr aussprechen. Er ist das und ein Mensch weiß, dass er da ist.

Jetzt kann man sagen, dass das ein altes Muster ist: In Todesangst klammern sich die Menschen an gute Geschichten: Aber das Gebet der Esther verdeutlicht, dass sie sich nicht an irgendeine Religion klammert. Denn diese „gute Geschichte“ kann sie gar nicht mehr glauben. Sie wurde ihr ja aberzogen. Esther betet, weil der Anruf von Gott, das Wiederaufnehmen einer Beziehung offensichtlich existentiell ist: „Du bist der Einzige“ (4,17l) und man hört das Glaubensbekenntnis aus Dtn 6 heraus: Der Gott Israels ist nicht einer der vielen Götzen. Er ist keine Trostgeschichte. Er ist der einzige Gott.

Merkmal des jüdischen Gottes ist es, dass nicht die Menschen ihn gnädig stimmen, sondern dass er sich den Menschen verpflichtet hat.

Du hast Israel aus allen Völkern erwählt (4,17m) und „als deinen Erbbesitz ausgesucht“ (4,17m): Das Alleinstellungsmerkmal des jüdischen Gottes ist, dass nicht die Menschen ihn anbeten und gnädig stimmen, sondern dass er sich den Menschen verpflichtet hat. Abraham hatte das erfahren. Es ist die Erfahrung von Jona. Und für uns Christen ist es letztlich Christus am Kreuz. Diese Selbstverpflichtung Gottes fordert Esther in ihrem Appell nun ein. Sie tut das im unerklärbaren Vertrauen darauf, dass er nicht nur irgendwie da ist oder dass nicht nur irgendwie alles einen Sinn hat, sondern dass ihr dieser Gott konkret in der spezifischen Situation hilft: dass er ihr den Mut gibt (4,17r) und die passenden Worte (4,17s), um vor dem weltlichen Herrscher zu bestehen. Er soll quasi ihre Rede schreiben. Königin Esther führt uns vor Augen, dass auch der heidnische Großkönig, der gottgleiche Machthaber im Grunde unter dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs steht. Das ist der Sinn dieses Gebetes.

Gläubige Menschen brauchen vor allen Säkularisierungsthesen nicht zu resignieren: In Christus ist dieser Gott Mensch geworden. Gott hat sich mit dem Kreuzesopfer selbst verpflichtet, jene, die zu ihm gehören, nicht zugrunde gehen zu lassen. Das ist ein unerschütterlicher Bundesschluss. Das ist der Grund, warum wir beten und warum wir darauf vertrauen, dass wir von Gott, der gut ist, erhört werden (Vgl. Mt 7,11).

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windl@turmderwinde.eu

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