Lebenszeugnis: DDDr. Kapistran Pieller OFM
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir: Herr, höre meine Stimme! Wende dein Ohr mir zu, achte auf mein lautes Flehen! Die Verzweiflung, die man in Zeiten der Not und in der Ausweglosigkeit erfährt, spiegelt sich schon in
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir:
Herr, höre meine Stimme! Wende dein Ohr mir zu,
achte auf mein lautes Flehen!
Die Verzweiflung, die man in Zeiten der Not und in der Ausweglosigkeit erfährt, spiegelt sich schon in den ersten beiden Versen des Psalms 130 wider. Dieser Psalm begleitet die jüdischen und die christlichen Glaubensgemeinschaften seit Generationen. Im Gebet verbleibt man aber nicht in der bestehenden Situation der Not, sondern diese wird aufgelöst, in der Hoffnung auf den Herrn. Bereits im Gebet setzt man den ersten aktiven Akt, der aus der Not befreien soll: Aus der Klage wird Aktion.
Der Weg des Widerstands
Dieses Tätigwerden in der Bedrängnis zeichnet auch das Leben von Pater DDDr. Kapistran Pieller OFM aus. Der 1891 als Wilhelm Pieller geborene Märtyrer trat 1909 in die Wiener Franziskanerprovinz ein und bekam den Ordensnamen Johannes Kapistran. Obwohl er die Universitätsreife nachholen musste, nahm sein Lerneifer nach dem Grundstudium der Theologie und seiner Priesterweihe 1918 nicht ab, so dass er schließlich drei Doktorgrade in Staatswissenschaften, Rechtswissenschaften und Theologie erlangte. Diese hohe Bildung wirkte sich scheinbar auch auf seine Predigten aus, so seien diese „hochwissenschaftlich“ und schwer verständlich gewesen, so berichtet es die Klosterchronik des Grazer Konventes, in dem er die meiste Zeit seines Ordensleben verbrachte. Trotz der offenkundigen Liebe zur akademischen Wissenschaft war sein Lebensmittelpunkt das Evangelium, der Glaube an Jesus Christus und Nachfolge nach der Art des Hl. Franziskus von Assisi. So diente er nicht nur als Ordensmann und Priester, sondern auch als Seelsorger einer Studentenverbindung in Graz, der K.Ö.H.V. Carolina. Kapistran Pieller durchlebte den ersten großen Krieg und die Not und Verzweiflung der Zwischenkriegszeit gläubig und im Dienst des Ordens. Mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland gingen nicht nur politische und gesellschaftliche Änderungen einher, auch der Orden der Franziskaner war gezwungen Umzustrukturieren: Das Kloster Eisenstadt, welches bis dahin von der ungarischen Franziskanerprovinz verwaltet wurde, wurde der Wiener Provinz überschrieben, da es nicht mehr mit Ungarn besetzt sein durfte. P. DDDr. Kapistran Pieller kam aus diesem Grund 1940 ins Franziskanerkloster Eisenstadt. In diese Zeit fällt auch seine Unterstützung für die „Antifaschistische Freiheitsbewegung Österreichs“ (AFÖ). Die drei Schlüsselfiguren der Bewegung waren der Priester Dr. Anton Granig und der Landtagsabgeordnete Karl Krumpl, beide aus Kärnten, sowie der Franziskanerkleriker Frater Benno. Letzterer war als Soldat in Klagenfurt tätig und verteilte regimefeindliche Flugzettel. Bei deren Erstellung unterstützten ihn die beiden Patres Angelus Steinwender und Kapistran Pieller. Am 23. August 1943 wird Kapistran Pieller, nach vorangegangener Inhaftierung seines Provinziales Pater Angelus Steinwender, von drei Männern der GeStaPo „ohne Bekanntgebung der Ursache“ festgenommen.
Prozess und Verurteilung
Der Prozess gegen sämtliche verhafteten Aktivisten der Antifaschistischen Freiheitsbewegung Österreichs fand im August 1944 statt und endete mit der Verurteilung von acht der 13 Mitglieder der AFÖ zum Tode, unter ihnen Pater Angelus und Pater Kapistran. Trotz der Einreichung mehrerer Gnadengesuche bei den NS-Stellen wurden die beiden Gefangenen am 4. April 1945 im Zuge eines Gefangenentransportes in die Haftanstalt Stein an der Donau überführt. Der viertägige Fußmarsch glich nach den Umständen der Haft bereits einem Todesmarsch, so berichtet ein Augenzeuge: „Da sieh! … Wie sie paarweise aneinandergekettet aus dem Tore schreiten. … Der Zug der Todeskandidaten. In grauen Kluften, mit grauen, verfallenen Gesichtern. … Wesen, die noch nicht tot sind und nicht mehr leben.“
Drei Tage vor deren Ankunft war es im Steiner Gefängnis zu einem Massaker gekommen: Als der Leiter der Anstalt, Hofrat Kodré, am 6. April die Freilassung der etwa 1800 Insassen anordnete und bereits etliche von diesen in Freiheit waren, rückten plötzlich Kräfte der SS, SA und Wehrmacht aus und richteten „ein unvorstellbares Blutbad“ an. NS-Leute übernahmen die Leitung des Gefangenenhauses. Am 15. April wurde der Befehl zur Hinrichtung der 46 Wiener Häftlinge erteilt. Jeweils zu zweit wurden sie von den GeStaPo-Henkern im Hof der Anstalt erschossen.
P. Angelus Steinwender und P. Kapistran Pieller waren sofort tot. Die beiden Patres fanden ihre letzte Ruhestätte in einem Massengrab in Stein.
Kraft aus dem Glauben
Kapistran Pieller und alle Beteiligten der AFÖ sind also in großer Not tätig geworden. Sie haben geklagt, sie haben aus der Tiefe gerufen und die Kraft gefunden, der Not zu begegnen. Kapistran Pieller fand aus seinem Glauben und aus seiner Berufung heraus die Kraft, gegen das Unrecht und die faschistische Ideologie einzutreten. Seine Überzeugung aus dem Evangelium heraus Leben zu wollen, war unvereinbar mit den nationalsozialistischen Machenschaften, hier entsprang sein Widerstand. In der Not war ihm Gott nicht fern, seine Klage kam an und er wurde tätig um gegen den beklagenswerten Zustand anzukämpfen. Bis zu seinem Tod für den Glauben und für ein freies Österreich.
Der vorliegende Text ist auf Basis einer Arbeit von Br. Johannes Pio Maria Pfister OFM, Theologiestudent des Grazer Franziskanerklosters entstanden.