Die Orthodoxe Kirche in Russland ist größtenteils mit dem Staat verwoben. Spätestens seit Wladimir Michailowitsch Gundjajew im Jahr 2009 als Kyrill I. zum Patriarchen aufgestiegen ist, wähnt sie sich in einem Kulturkampf gegen liberale Werte des Westens. Aber nicht gegen alle. Innerhalb der Orthodoxen Kirche gibt es Vertreter alternativer Standpunkte oder sogar Widerständler, aber von außen sind sie kaum wahrnehmbar. Das ist die Einschätzung von Regina Elsner, Professorin für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, die sie in einem Online-Gespräch der Reihe „Sozialethische Morgenlage Mitteleuropa“ dargelegt hat. Die Serie ist ein Projekt der in Wien tätigen Vereinigung für Sozialethik in Mitteleuropa: Mit dem neuen Format lädt die Vereinigung regelmäßig zu einem Gedankenaustausch mit Wissenschaftern zu aktuellen Themen. Anmelden kann man sich online. Einige Notizen eines Hörers.

1. Vernunft als Teil des Glaubens

Die Orthodoxen Kirchen in Osteuropa – und insbesondere jene in Russland – sind nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Sozialismus innerhalb weniger Jahre zu einer machtvollen Institution herangewachsen. Kirchliche Vertreter haben Einfluss auf Haltung und Überzeugungen vieler Menschen. Bischöfe wie Kyrill üben diesen Einfluss auch aus, indem sie gesellschaftliche Entwicklungen kommentieren und bewerten. Nachdem zu Beginn der 1990er Jahre die meisten anderen Institutionen aus der Sowjetzeit zusammengefallen waren, schenkten viele Menschen der intakt gebliebenen Kirche zunehmendes Vertrauen. Spätestens ab 1997 ist es zu einer verstärkten Kooperation zwischen Orthodoxer Kirchenführung oder Orthodoxen Theologen und staatlichen Machthabern gekommen.

Aus Sicht eines säkularen Staates stellt sich die Frage, welche Verpflichtungen nimmt der Staat Kirchen und kirchlichen Vereinigungen ab und welche Rechte gewährt er ihnen. Das geschieht in den meisten Staaten der Freien Welt in Prozessen jahrelanger Aushandlungen und auch nicht aus Gründen gnadenhafter Zugeständnisse der Kirche gegenüber, sondern wegen der Einsicht, dass Ausübung von Religion ein grundsätzlich den Bürgern zu garantierendes Recht ist. Ähnlich ist dieselbe Fragestellung aus der anderen Perspektive, jener der Religionsgemeinschaft, seit Jahrhunderten ein prozesshaftes Ringen: Welche Beziehung soll eine Glaubensgemeinschaft oder sollen die Gläubigen zum Staat und dessen Machtstrukturen unterhalten? In jüdisch-christlicher Vorstellung ist die Frage nach der angemessenen Beziehung auch eine Glaubensfrage, insofern der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs immer auch weltimmanent in der Geschichte wirkt. Das ist biblisch gut grundiert und im Christentum seit seinen Anfängen eine beständig neu auftretende Frage. Insofern Gott neben allem Anderen in der Welt auch die nicht gläubigen Herrscher oder säkulare Machtstrukturen will oder zumindest zulässt, steht ihre grundsätzliche Legitimität theologisch außer Zweifel. Was natürlich nie heißen kann, dass der einzelne Akt eines Herrschers göttliche Legitimation erfährt. Im Hintergrund leuchtet des Paulus holzschnitzartig formulierte Mahnung an die Christen in Rom auf, wonach sich jeder Mensch den Trägern staatlicher Gewalt unterzuordnen habe, denn „es gibt keine staatliche Gewalt außer von Gott; die jetzt bestehen, sind von Gott eingesetzt“ (Röm 13,1). Dabei geht es im Wesentlichen darum, dass Bürger ihren Glauben nicht in einen endzeitlichen Aufstand gießen, wie Bonhoeffer konstatiert, der die Gottgegebenheit von staatlicher Obrigkeit insofern begrenzt sieht, dass neben ihr andere Obrigkeiten wie bspw. die Familie dieselbe Autorität beanspruchen können und keine Obrigkeit die andere zu vereinnahmen hat1. Außer Frage steht, dass mit dieser Mahnung des Völkerapostels leicht Unrecht geschehen kann und geschehen ist. Einen negativen Höhepunkt konstruierten die deutschen Nationalsozialisten, die mit einer verzerrten Lektüre von Röm 13 den eigenen Totalitarismus als gottgewollt darzustellen suchten. Was nur mittels Auslassung wesentlicher Teile des paulinischen Textes möglich ist2. Paulus steht mit seiner Mahnung in der Tradition anderer diasporajüdischer Denker wie Philo und Josephus. Schlussendlich ist der Abschnitt eine Absage daran, das Evangelium zu einem revolutionären Akt zu degradieren, der die heidnische Herrschaft mit dem Reich Gottes ersetzen soll. Zudem steht der Integrationsaufruf unter den Vorzeichen fundamentaler Grundwerte wie beispielsweise der Nächstenliebe (Röm 13,8), Gerechtigkeit (Röm 13,5-6) oder Selbstverantwortung (Röm 12,2).

Der Versuch der Christen, die pantokratische Christologie oder den, aus dem Judentum übernommenen strikten Monotheismus mit einer Welt zu vereinen, die religiös pluralistisch und oft genug auch christenfeindlich ist, ist historisch von einmal mehr, einmal weniger starkem Erfolg geprägt. Katholischerseits scheint das Konzil zu sehr ähnlichen Überzeugungen gelangt zu sein wie zuvor Bonhoeffer (GS 73-76). Wesentlich ist dabei, dass sowohl der individuelle Mensch als auch die kollektive Gemeinschaft eine saubere Trennung der Lebensbereiche vornimmt: „Sehr wichtig ist besonders in einer pluralistischen Gesellschaft, daß man das Verhältnis zwischen der politischen Gemeinschaft und der Kirche richtig sieht, so daß zwischen dem, was die Christen als Einzelne oder im Verbund im eigenen Namen als Staatsbürger, die von ihrem christlichen Gewissen geleitet werden, und dem, was sie im Namen der Kirche zusammen mit ihren Hirten tun, klar unterschieden wird“ (GS 76). In diesem Grundsatz offenbart sich ein erstes Problem der theologischen Aufladung des russischen Patriarchen, mittels derer er den Kriegszug gegen die Ukraine zu rechtfertigen sucht. Kyrill positioniert die Russisch-Orthodoxe Kirche in einem „metaphysischen Kampf“, bei dem es gelte, sich „auf Seiten der Wahrheit Gottes, auf Seiten dessen, was uns das Licht Christi, sein Wort, sein Evangelium offenbaren“ zu stellen. Die Regierung im Kreml ist also ein heilbringendes, ein soteriologisches Instrument geworden. Aufrechterhalten lässt sich diese Zuschreibung allerdings nur, solange der Patriarch wesentliche Aspekte des russischen Handelns auslässt: Todesopfer, Vergewaltigungen, Verschleppungen und nicht zuletzt der nicht zu leugnende Bruch internationaler Vereinbarungen. Im katholischen Verständnis sind Gerechtigkeit und Vernunftgebrauch aber nicht nur optionaler Zusatz, sondern wesentlicher Bestandteil des Glaubens. Darauf wies 2010 Papst Benedikt XVI. vor dem deutschen Bundestag hin und zitierte in diesem Zusammenhang nicht zufällig das berühmte Wort des Augustinus von der Räuberbande des rechtsfreien Staates: Auf Augustinus hatte sich schon Sophie Scholl bezogen. Entscheidend bei der Feststellung dessen, was Recht ist, sei es, dass Vernunft und Natur aufeinander bezogen werden müssten, konstatierte dabei Ratzinger. Wendet man nun den Grundsatz auf die Parteinahme des Patriarchen an, wird schnell klar, dass seiner Einordnung in das Kreml-System eine beschädigte Theologie zugrunde liegt. Wer seiner Argumentation folgt oder Verständnis für die russische Position im Krieg gegen die Ukraine signalisiert, muss erklären, wie er die Elemente offensichtlichen Unrechts rechtfertigt.

2. Mit wem wir (nicht mehr) sprechen

Es scheint so, dass der Diskurs innerhalb der Russischen Orthodoxie genauso wenig einhellig ist wie in der russischen Gesellschaft insgesamt. Widerstand organisiere sich vorwiegend in der Auslandscommunity, innerhalb Russlands träten Dissidenten immer weniger öffentlich in Erscheinung, erzählt Elsner während der Morgenlage. Im März 2022 haben sich ca 300 Priester der Orthodoxen Kirche in einem Offenen Brief gegen den Krieg ausgesprochen. Im Großen und Ganzen bleibt der Widerstand aber im Untergrund. Das Regime im Kreml ist auch auf Diskurshoheit bedacht und investiert einiges im In- und Ausland, diese Diskurshoheit zu erlangen oder zu bewahren. Dazu gehört auch die Verfolgung von Dissidenten und deren Familien. Vor diesem Hintergrund sind auch all jene Versuche einzuordnen, Gespräche mit Offiziellen oder Kirchenvertretern für das eigene Narrativ zu instrumentalisieren. Aus der eigenen Erfahrung in Osteuropa empfiehlt Elsner deswegen, „dass man mit der Kirchenleitung überhaupt keinerlei Kontakte mehr pflegen sollte„, derlei Anstrengungen – auch ökumenischer Art – seien durchgängig instrumentalisiert worden.

Das verständliche Ansinnen, sich nicht für Propaganda instrumentalisieren zu lassen, eröffnet ein Dilemma: Einerseits führt Russland einen Informationskrieg, mit dem es auch im Ausland den Diskurs zu bestimmen sucht. Gesprächspartner zu haben, verleiht Legitimation. Demzufolge erscheint es angemessen, einem kriegerischen Regime nicht auch noch von außen solche Legitimation zu geben. Anderseits verbleibt einer christlich-sozial geprägten Anstrengung zum Frieden nur der Dialog. Vor dem Hintergrund, dass weiterhin die Mehrheit der Menschen in Russland hinter ihrer Regierung stehen, wird die Dialogbereitschaft sogar zur Verpflichtung. Insofern erscheinen auch die Dialog-Anstrengungen des Heiligen Stuhls weniger in „mangelnder Kompetenz“ begründet, sondern sind Ausdruck einer konsolidierten Haltung oder Tradition: Für die vatikanische Diplomatie ist der Erhalt eines Gesprächsfadens ein übergeordnetes Ziel, für das sie unter Umständen – z.B. in China – sogar bereit ist, bei Glaubensinhalten Kompromisse einzugehen. Ausschließlich mit Oppositionellen zu sprechen, birgt mittelfristig die Gefahr, an Russland vorbeizureden. Es wird also eine beständige Abwägung brauchen, unter welchen Umständen und zwischen welchen Partnern Dialog angemessen erscheint.

3. Wie universal „Menschenrechte“ sind

Innerhalb eines sozialethischen Diskurses scheint es einen universal gültigen Kanon zu geben, an dem Handlungen und Inhalte kirchlicher Institutionen gemessen und bewertet werden. Auch Prof. Elsner bezieht sich in der Auseinandersetzung mit der Rolle der Orthodoxen Kirche in Russland mehrmals auf Menschenrechte. So sei die russische Orthodoxie bezüglich freier Religionsausübung international zwar eine Vorkämpferin, Menschenrechte, die die individuelle Lebensweise schützen sollen, würden gleichzeitig oft gar nicht erst anerkannt oder beschnitten. Solche oder ähnliche Tendenzen sind auch in anderen Kirchen zu beobachten, in Russland erlaubt die Verzahnung mit staatlichen Machtstrukturen eine entsprechende Politik. Doch sind Menschenrechte überhaupt relevant zur Beurteilung religiöser Inhalte? In den meisten Staaten der Welt – nicht nur im Westen – würde diese Frage bejaht: Es herrscht breiter Konsens darüber, dass es Rechte gibt, die jemandem zukommen, insofern er Mensch ist. Aus christlicher oder katholischer Sicht speist sich der Grundsatz im biblischen Verständnis der Geschwisterlichkeit, die allen Menschen zuteil wird. Schwieriger ist es, die Menschenrechte zu beschreiben, also ihre konkrete Entfaltung. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat zwar globale Anerkennung gefunden, ist aber ein juristischer Text, der abstrakte Ideale verbindlich machen will. Ihre Umsetzung hängt aber vom spezifischen sozio-kulturellen Kontext ab, wie jüngst auch Freistetter / Neuhold dargelegt haben.3  

Die quantitative und qualitative Erweiterung des Menschenrechtskataloges nach 1948 birgt jedoch die Gefahr einer Schmälerung des Konsenses und damit der Wirksamkeit der erklärten Ideale insgesamt: „Es ist gängige Praxis geworden, dass Gruppen ihre eigenen ‚Menschenrechte‘ als Kampfinstrumente gegen die ‚Menschenrechte‘ anderer Gruppen einfordern.4 Realistischerweise kann man annehmen, dass weder die russische Orthodoxie noch der Freie Westen mittelfristig von seinem eigenen Menschenbild Abstand nehmen oder jeweils zentrale Inhalte aufgeben wird. Vor dem Hintergrund des Ringens um Diskurshoheit erscheint es jedoch ratsam, in eine Auseinandersetzung das Gemeinsame zu betonen und nicht mit einem vage definierten Menschenrechts-Begriff zu gehen, der dann Anlass bietet, dem Westen einen Werte-Imperialismus und kulturellen Kolonialismus vorzuwerfen.

4. Welche Gesellschaft zivil ist

Die Frage, wie sich Kirche – im Fall Russlands eben die Russisch-Orthodoxe Kirche – zum Staat positioniert, lässt sich durchaus weiter fassen: Wie integriert sich Kirche angemessen in eine Gesellschaft? Bereits Hannah Arendt hat Widersprüchlichkeiten in der Entwicklung des Gesellschaftsbegriffes aufgezeigt und darauf hingewiesen, wie sich auf der Ebene von Gesellschaft die Sphären des privaten Haushaltes und der öffentlichen Politik annähern bzw. vermischen.

Hängt auch der Bedeutungsinhalt von „Gesellschaft“ vom Fach ab, über das man sich ihm nähert, so kann man dennoch grob feststellen, dass Gesellschaft eine Gemeinschaft von Personen umfasst, die auf irgendeine Weise miteinander interagieren. Problematischer und in sozialethischen Debatten zunehmend eine Herausforderung ist der Begriff der „Zivilgesellschaft“. Geformt hat den Begriff Antonio Gramsci, der darin all jene Gemeinschaften zusammenfasste, die nicht staatlich sind, insofern er jede staatliche Einrichtung als eine Art martialisches Instrument verstand, die zur Unterdrückung der Arbeiterklasse diente.  „Zivil“ versteht sich dabei als Gegenteil der martialischen Staatsorgane. Die Begriffsverwendung hat sich inzwischen gewandelt. Heute beschreibt Zivilgesellschaft „(…) einen Bereich innerhalb der Gesellschaft, der zwischen dem staatlichen, dem wirtschaftlichen und dem privaten Sektor angesiedelt ist. Die Zivilgesellschaft umfasst die Gesamtheit des Engagements der Bürger eines Landes – zum Beispiel in Vereinen, Verbänden und vielfältigen Formen von Initiativen und sozialen Bewegungen. Dazu gehören alle Aktivitäten, die nicht profitorientiert und nicht abhängig von parteipolitischen Interessen sind.5 Der Begriff „Zivilgesellschaft“ erscheint in der Öffentlichkeit häufig als qualitative Beschreibung des Nicht-Verzweckten, des absichtslosen Engagements für das Gemeinwohl. Im Idealfall entspringt „Zivilgesellschaft“ der Graswurzel Bevölkerung: Bürger engagieren sich ohne weitere strategische Absichten für ein wichtiges und gemeinwohlorientiertes Anliegen. Bekannte Beispiele sind die Bürgerrechtsbewegung in der ehemaligen DDR, die zum Fall der Berliner Mauer geführt haben oder auch in kleinerem Maßstab Verbände Freiwilliger Feuerwehren. Im Falle Russlands konstatiert Elsner eine Zivilgesellschaft, die allenfalls im Untergrund tätig ist. Im Gegensatz dazu hätten andere Länder Osteuropas stärkere zivilgesellschaftliche Strukturen, die dem Staat und den Kirchen gegenüber als Korrektiv auftreten.

In einer multipolaren Kommunikationsgesellschaft mit einem stark strukturierten Dienstleistungssektor verschwimmen aber zunehmend die Abgrenzungen der Bereiche. Das gilt insbesondere für den Diskurs auf globaler Ebene. Größere Verbände unterhalten zur Erreichung ihrer Vereinszwecke auch grenzüberschreitend wirtschaftliche Tätigkeiten und sind mitunter auch parteipolitisch vernetzt, wie die jüngsten Diskussionen um das bundesdeutsche Recherchenetzwerk Correctiv oder die Mittelmeer-Aktivitäten des Vereines Sea Watch nahelegen.  Für eine transparente Debatte erscheint es deswegen zielführender, auf die qualitative Klassifizierung von Interessensgemeinschaften zu verzichten und stattdessen eine Gesellschaft in der Gesamtheit der in ihr wirkenden Akteure zu betrachten. In sozialethischer Hinsicht ist es nämlich schwer belegbar, wieso etwa die Organisation Global 2000 mit dem Prädikat „zivilgesellschaftlich“ versehen werden kann und die Arbeiterkammer eben nicht. 

Was bleibt

Insgesamt kann man feststellen, dass der Überfall Russlands auf die Ukraine eine ganze Reihe an sozialethischen Beobachtungen offenbart hat, die bereits vorgelegen waren, die aber seit Februar 2022 unübersehbar aufgebrochen sind:

– Das Regime von Vladimir Putin hat ungefiltert gezeigt, dass es für den Erhalt der Macht bereit ist, Krieg zu führen, Gegner im In- und Ausland zu verfolgen und auszuschalten. Ein wesentlicher Faktor bei der Absicherung seiner Macht kommt kirchlichen Akteuren zu. Vor diesem Hintergrund stellt sich christlicherseits neu die alte Frage, wie eine angemessene Positionierung von Kirche zu Staat überhaupt zu gestalten ist.

– Im Lichte des „hybriden“ Informationskrieges, den Russland nicht nur im eigenen Land, sondern auch im Ausland führt, stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen mit den Verantwortlichen in Moskau überhaupt ein Dialog möglich und wünschenswert ist. Sozialethisch erscheint eine völlige Einstellung des Dialoges undenkbar, insofern die Alternative zum Gespräch immer das Gefecht ist. 

– Maßstab christlich-sozialer Reflexionen sind in einer pluralistischen Welt Menschen- und Bürgerrechte. Allerdings wird in jedem Kommunikationsgeschehen aufs Neue auszutarieren sein, wer konkret was darunter versteht. Eine umfassende Reflexion über Menschenrechte kommt also nicht umhin, am eigenen Menschenbild zu arbeiten. Anthropologische Vorstellungen sind aber nicht universal gültig, sondern unterliegen selber sozio-historischen Umständen. 

– Im Sinne einer transparenten Debatte in der Öffentlichkeit erscheint es ratsam, offen darzulegen, wer welche Interessen vertritt: Die Gesellschaft ist eine Einheit mit unterschiedlichen, im Idealfall gleichermaßen legitimierten Akteuren. Eine Entgegensetzung von glaubwürdigeren „Zivilorganisationen“ und weniger glaubwürdigen staatlichen Einrichtungen führt mittelfristig zu Verwirrung. 


1 Bonhoeffer, Dietrich: Theologisches Gutachten: Staat und Kirche, in: Glenthøj, Jørgen / Kabitz, Ulrich / Krötke, Wolf (Hg.): Bonhoeffer, Dietrich. Konspiration und Haft. 1940-1945. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1996, (= DBW 16), 506–535.

2 Windegger, Moritz: Alle sind Diener Gottes. Einwirkungen jüdischer Theologie auf das Verständnis von Staat und Gläubigen in Röm 13,1-7, Graz 2023, 32-40. 

3 Freistetter, Werner / Neuhold, Leopold: In Zeiten der Krise. Herausforderungen für Gesellschaft und Kirche, Wien 2023, 98-99.

4 op. cit., 101. 

5 https://www.bmz.de/de/service/lexikon#lexicon=14976

Author

windl@turmderwinde.eu

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