Andauernder Dialog zwischen Gott und Mensch. Zur Frage nach theologischen Methoden von heute
Einleitung Ausgehend von den Veränderungen des Konzils stellt Walter Kasper mit dem Aufsatz aus dem Jahr 1967 die Frage, welche neue Methoden Theologie entwickeln kann, um weiterhin den Ansprüchen einer exakten Wissenschaft gerecht zu werden. Theologie müsse erklären, wie ein
Einleitung
Ausgehend von den Veränderungen des Konzils stellt Walter Kasper mit dem Aufsatz aus dem Jahr 1967 die Frage, welche neue Methoden Theologie entwickeln kann, um weiterhin den Ansprüchen einer exakten Wissenschaft gerecht zu werden. Theologie müsse erklären, wie ein Sprechen über oder von Gott sinnvoll bzw. vernünftig geschehen kann. Die Möglichkeit, überhaupt noch von Gott reden zu können, stehe in Frage. Kasper knüpft dabei an die Krise an, in die die gesamte Geisteswissenschaft nach den Weltkriegen geraten war. Hatten doch Johann Baptist Metz u.a. in Ableitung von Theodor Adornos Frage, ob nach Auschwitz überhaupt noch Dichtung möglich sei, die Frage zu beantworten versucht, welche Rede von Gott nach Auschwitz noch möglich ist.[1]
Es geht für Kasper aber um mehr als nur darum, „bei allen möglichen Disziplinen Anleihen aufzunehmen“. Ein solcher Versuch wäre dilettantisch[2]. Die Frage nach einer neuen Methodik von Dogmatik ist für Kasper eine Frage nach den Grundlagen der Theologie. Und damit um das rechte Verständnis der Göttlichen Offenbarung. Dieser Frage und der daraus abgeleiteten Frage nach dem Zueinander von Schrift und Tradition hatte sich das Konzil mit der Apostolischen Konstitution „Dei Verbum“ gewidmet.
Das von technischen Errungenschaften getrimmte Zeitalter verlange methodische Exaktheit, was für Kasper bedeutet: ein „planmäßiger, reflektierter, dauernd kritisch abgesicherter Weg zu einem bestimmten Erkenntnisziel“[3]. Die vom Konzil eingeforderte Vorrangigkeit der Heiligen Schrift als „Seele der heiligen Theologie“ (DV 24) erfährt nach Kasper in jedem Menschen eine Reflexion und demzufolge könne Theologie von Philosophie auch nicht absehen.
Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Frage nach Kirchlichkeit der Dogmatik. Daraufhin folgen Überlegungen zum Vollzug der Methode, um schließlich zu einer neuen ratio theologica zu gelangen. Kasper folgt in seinen erkenntnistheoretischen Überlegungen den Vorgaben von Aristoteles in dessen Metaphysik. Zu dieser Wahrheit gelange der Wissenschafter durch kritisches Hinterfragen der Forschungsgeschichte. Durch das, was bisher erkannt und überliefert worden ist, schreitet der Forschende in der Erkenntnis voran. Aus dem zuvor Festgestellten ergeben sich neue Fragen, zitiert Kasper Aristoteles und sieht darin den Ansatz für eine dogmatische Methode: „Indem uns die Tradition auf den Weg des Fragens bringt, eröffnet sie uns zugleich neue Weisen künftiger Theologie“. [4]
Für Kasper gilt es also, die Theologiegeschichte zu untersuchen. Klar ist für ihn dabei, dass es nicht ausreicht, nur von der Verkündigungstheologie der 1920er und 1930er Jahre eine pastorale Theologie des Konzils abzuleiten. Vielmehr müssten die Fragestellungen der gesamten neuzeitlichen Theologie untersucht werden. Die Fragestellungen von Barockscholastik, Aufklärung, Neuscholastik oder des 20. Jahrhunderts seien aber zu wenig erforscht, weswegen für Kasper die „ganze Theologiegeschichte der Neuzeit von Grund auf neu geschrieben werden müsse“[5] (S. 18).
Kasper ist nicht der einzige, der eine solche Kehrtwende in der Theologie einfordert. Bereits Hugo Rahner (1900-1968) hat vor dem Konzil eine wesenhafte Bedeutung von Geschichtlichkeit in Theologie und Glaube herausgestrichen. Seine „Theologie der Verkündigung“ steht im Spannungsfeld von Geschichte und Dogma, wie Johanna Rahner jüngst heraus gearbeitet hat.[6] Der Rote Faden seiner Arbeiten ist die Ekklesiologie. Sein Interesse an den Kirchenvätern gilt besonders deren Theologie der Kirche. Hugo Rahner schreibt der Vielfalt ekklesiologischer Bilder bei den Kirchenvätern dogmatische und pastorale Relevanz für das „Hier und Jetzt“ zu. Auch bei ihm wird die Frage nach der Methode zu einer „theologischen Grundorientierung der Kirchengeschichte“ und damit zur Ekklesiologie.
Methodische Veränderungen zwischen zwei Konzilien
Das Zweite Vatikanische Konzil markiert einen Wendepunkt für das Selbstverständnis von Kirche, aber auch von Theologie. Das kommt in allen Konzilsdokumenten zum Ausdruck, in besonderer Weise aber in der Apostolischen Konstitution über die „Göttliche Offenbarung“ („Dei Verbum“) und jener über die Kirche („Lumen Gentium“). Obschon in erklärter Kontinuität zum Konzil von Trient und dem Ersten Vatikanischen Konzil lassen sich zwei Veränderungen schlagwortartig zusammenfassen: Nach „Dei Verbum“ geschieht Gottes Offenbarung als Selbstoffenbarung in der Geschichte. Und „Lumen Gentium“ unterscheidet deutlich zwischen Christus und der Kirche als Mittlerin Christi.
Um daraus die notwendigen Konsequenzen für die Theologie schließen zu können, postuliert Kasper bereits 1967 eine eingehende Erforschung der Theologiegeschichte. Bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil entfaltete sich dogmatische Theologie lehrbuchmäßig in einem dreigliedrigen Schritt: Darlegung der Lehre, Schriftbeweis, spekulative Durchdringung. Laut Kasper bildete sich Letztere aber erst im 18. Jahrhundert heraus. Ursprünglich kenne die dogmatische Methode seit dem Mittelalter nur zwei Wesenselemente: Glaube und Vernunft.
Der Schritt der „Durchdringung“, die „Ratio theologica“ sei Explikation des Glaubens. Theologie war stets als „wissenschaftlich ausgebildeter Intellectus Fidei“ definiert. Der Nominalismus habe im Mittelalter die Einheit von Intellectus und Fides aufgebrochen: Sind die Worte der Überlieferung lediglich „Nomina“, komme ihnen keine Autorität zu. Die zunehmende Trennung der beiden Sphären habe die Rede über Gott in zwei Lager geteilt: Das eine verfolgte eine streng wissenschaftliche Methode, das andere einen fideistischen Biblizismus, der eine mystische Gott-Unmittelbarkeit beanspruchte. Kasper zeichnet nach, wie sich diese Trennung in Humanismus und Reformation, und sodann besonders im 19. Jahrhundert verstärkte. Die Humanisten entwickelten ein geschichtliches Verständnis von Wahrheit, die Reformatoren hingegen wandten sich im Namen des lutherischen Sola-Scriptura-Prinzips gegen den Vernunftgebrauch der Scholastik. Beides weist die systematische Theologie des Trientner Konzils zurück. Im 19. Jahrhundert schließlich gilt katholische Rechtgläubigkeit mit scholastischer Methode als ident.
Für Kasper wollte die dogmatische Theologie der Neuzeit einen Wahrheitsanspruch bewahren. Dies habe zu einer „Verkirchlichung der Theologie“, aber auch zu einer „Unfähigkeit zum Dialog nach innen und nach außen“ geführt[7]. Diesen Dogmatismus nennt er „ideologieverdächtig.
Seit der Neuscholastik im 19. Jahrhundert und bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil sei das hauptsächliche Problem der Theologie „das Verhältnis von geschichtlicher Wahrheit und allgemeingültigem Wesensdenken“ gewesen. Theologen haben sozusagen zeitlose Aussagen über die Wirklichkeit getroffen. Und konnten damit schlussendlich nicht anders, als an der Wirklichkeit vorbei denken. Dieses neuzeitliche Auseinanderfallen ist den Theologen der Antike völlig fremd. Hugo Rahner arbeitete heraus, dass die Ekklesiologie der Kirchenväter eine kontextuelle Ekklesiologie gewesen sei. Angetrieben vom biblischen Zeugnis seien ihre Denkformen und ihr Bildsprache unverkennbar von „vor- und außerchristlichen Traditionen“ bestimmt. Für Hugo Rahner ist diese Synthesekraft die starke Seite der Theologie bei den Kirchenvätern. Diese Ekklesiologie nimmt das biblische Erbe ernst und spricht die Sprache ihrer zeitgenössischen Kultur. Trotz Abgrenzungen und verschiedener Rezeptionsarten existieren christliches Dogma und zeitgenössische Kultur bei den Kirchenvätern nicht nebeneinander, sondern sind aufeinander bezogen. Das „Weltwissen“ ist den Kirchenvätern nicht fremd, sondern sinnerschließend. Ihre Theologie braucht die Nähe zur Welt, ist sich aber gleichzeitig einer kritischen Distanz bewusst.
Gerhard Sauter unterscheidet wenige Jahre nach dem Aufsatz von Kasper zwei unterschiedliche Methoden, mit Überlieferung umzugehen. Eine dominierte die Theologie bis zum Konzil, die andere danach. Kontinuität könne einerseits als ein Zusammenhang verstanden werden, dessen vorläufiger Endpunkt die Gegenwart ist. Oder die Tradition sei ein Versuch, ein gegenwärtiges Urteil durch geschichtlichen Rückgriff zu legitimieren. Selbst Letzteres werde jedoch nicht normativ gebraucht, sondern als geschichtlich vermittelt dargestellt. Sauter kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Kasper: Die Theologie „hat auf die Anfragen, die durch das geschichtliche Zeitbewusstsein an sie herangetragen werden, in der Treue zu ihrem Ursprung sachgemäß zu reagieren“[8].
Die Aufgabe von Dogmatik in Theologie und Kirche
Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde deutlich, dass Theologie keine „bloße Dogmen- und Denzingerexegese und noch weniger bloße Dogmen-Apologetik“ sein könne.[9] Nach Kasper ist sie vielmehr ein Übersetzungsvorgang. Vor diesem Hintergrund plädiert er für ein „rechtes Verständnis“ von Dogma. Mit „Lumen Gentium“ ist Kirche das „pilgernde Gottesvolk“, welches zwar die Verheißung, aber noch nicht die Erfüllung erreicht hat. Kirche ist kein Selbstzweck, sondern Hilfe beim Erreichen der eschatologischen Erfüllung. Daraus leitet Kasper eine funktionale Bedeutung von Dogma ab. Ein solches sei sowohl auf das Wort Gottes als auch auf die Fragestellungen einer bestimmten Zeit bezogen. Dogmatik stehe zwischen „dem in der Schrift bezeugten Offenbarungswort und der gegenwärtigen Verkündigung“.
Aus der vom Konzil geforderten dienenden Stellung der Kirche leitet Kasper zwei Schlussfolgerungen für eine neue dogmatische Methode ab:
- A) Vorrangstellung der Schrift: Die Heilige Schrift ist für jede Theologie normative und gültige Bezeugung des Wortes Gottes. Kasper sieht in Lehrtexten und Konzilsaussagen über die Schrift[10] Luthers Formulierung von der Schrift als „norma normans non normata“ bestätigt. Von der Schrift würden Fragestellungen und Impulse für die Theologie ausgehen. Sie liefere nicht erst Argumente für bereits aufgestellte Thesen. Nicht die Schrift sei im Rahmen der Kirchenlehre, sondern die Kirchenlehre im Rahmen der Schrift zu behandeln. „Die Schrift ist deshalb als Buch der Kirche zu lesen“, schreibt Kasper (S. 42) und zieht eine zweite Schlussfolgerung der theologischen Methodik:
- B) Missionarische Kirche: Auch in ihrer Auslegung der Schrift müsse sich die Kirche auf die „Fragen des Menschen und der menschlichen Gesellschaft“ beziehen. Ausgangspunkt der Theologie sei nicht irgendein Schriftzeugnis, sondern jenes, das „angesichts der Fragen des heutigen Menschen gelesen wird“[11]. Eine so verstandene Bibelhermeneutik übersteigt nach Kaspers Ansicht die rein historisch-kritische Schriftauslegung. Letzterer komme allerdings die Aufgabe zu, ein „Hineinlesen“ eigener Vorstellungen in den Bibeltext zu verhindern, es sei die historisch-kritische Auslegung, die „illegitimer Eisegese“ vorbeuge.
Fazit: Eine angemessene Theologie beantworte Fragen, die wirklich gestellt sind. Eine recht verstandene kirchliche Theologie sei eine, die selbst die Fragen von Ungläubigen als Anfragen an den eigenen Glauben versteht.
Bezeugte Geschichte als Autorität
Alle (christliche) Theologie gründet auf einer geschichtlichen Offenbarung. Das Heilshandeln Gottes in der Geschichte ist uns ausschließlich durch das überlieferte und geschichtliche Zeugnis der Apostel zugänglich. Insofern ist im Unterschied zur Philosophie das geschichtliche Autoritätsargument für die Theologie konstitutiv.
Im Mittelalter waren die „auctoritates“ für jede Wissenschaft wesentlich. Allerdings unterscheiden die mittelalterlichen Theologen zwischen den „auctoritates“ in Schrift, Konzilien oder Väterliteratur einerseits und der „einen auctoritas des im Glauben der sich auf die Schrift stützenden Kirche lebendig gegenwärtigen Herrn“[12]. Unvergleichbar mit dem modernen Verständnis von Schrift- oder Traditionsbeweis, haben die „auctoritates“ für die Mittelalter-Theologen lediglich eine Beispiel-Funktion. Nur in Ausnahmefällen wie dem franziskanischen Armutsstreit oder dem Bilderstreit bildete sich eine Beweisführung heraus, die dem modernen Verständnis von Traditionsbeweis nahe kommt. Im Spätmittelalter löst sich die Theologie aber davon. Von da an müssen Theologen die Tradition vernunftbasiert beweisen. Es entstehen die spätmittelalterlichen Gedanken-Gebäude.
Angesichts dieser Entwicklung stellen Humanismus und Reformation die Selbstverständlichkeit der „auctoritates“ infrage: der Humanismus im Namen der historischen Kritik, die Reformatoren im Namen des Evangeliums. Beide Ansätze reklamieren ein „ad fontes“ für sich ein. Als Antwort darauf formen Gegenreformatoren wie Melchior Cano die mittelalterlichen „auctoritates“ in „loci theologici“ um. Debattiert wird über „Catenen von historischen Argumenten“[13]. Das sind Argumentationsketten, mit denen, die Validität der eigenen Beweisführung untermauert werden soll. Die historisierende Arbeit dieser neuzeitlichen Theologie bleibt für Kasper aber insofern unfruchtbar, als dass sie nur der Retrospektive und der Apologetik gedient habe. Mit Karl Rahner stellt er fest: „Viele historische Monographien waren nicht mehr als ein weiterer Stimmzettel für eine schon feststehende These“.
Für Kasper böte historisches Denken aber eine Chance für das eigene Selbst- und Weltverständnis. Zu wissen, „wie es wirklich war“, mache auf Fragestellungen und Sinnverschiebungen im Sprachgebrauch aufmerksam und eröffne neue Möglichkeiten. Den Kern der Krise wissenschaftlicher Theologie sieht er in dem Umstand begründet, dass der historischen Forschung eine Beweisführung aufgelastet würde, die diese nicht erfüllen könne: Die eine „Auctoritas“ in vielen „auctoritates“ aufzuweisen, könne nur im Glauben geschehen. Nicht aber über eine historische Methode, die allenfalls beweise, „was zu beweisen war“. Die historische Methode wird bei Kasper sozusagen zur Anfrage an den gegenwärtigen Menschen: Diesem helfe eine recht verstandene Tradition, die eigenen Denk- und Sprachhorizonte zu öffnen, in denen sich eine Selbstauslegung der Offenbarung ereignen könne. Das sei der Mehrwert einer historischen Methode innerhalb der Theologie.
Kasper plädiert dafür, dass auch die systematische Theologie bzw die Dogmengeschichte sich Methoden aneigne, die in der Exegese bereits üblich seien: Zeugnisse, Denkweisen, Begriffe u. ä. müssten auf ihre jeweilige Aussageintention hin untersucht werden, damit sowohl das durch Vordenker Gesicherte als auch noch offene Fragen zu einem gegenwärtigen Glaubensbewusstsein führen könnten. Ein so verstandene Theologie sein kein abstraktes Hineindenken in einen historischen Autor, sondern eine von aktuellem Interesse geleite Rückfrage. Wiederholt warnt Kasper vor der Gefahr einer „Eisegese“: Um einer solchen Vorzubeugen bedürfe die theologische Spekulation der historischen Kleinarbeit, „um bei der Sache zu bleiben[14].
Menschliches Denken sei wesentlich Anamnese. Die Entdeckung des Vergangenen verändere die Gegenwart des Menschen. Theologische Anamnese hinterfrage ihren Wissenschaftsgegenstand auf dessen Verheißung hin, die dieser „für existentielle Heilsfragen des Menschen heute in sich schließt“[15].
Fazit für Kasper: Dogmatische Methode ist ein Weg der historischen Anamnese. Diese Anamnese ist nicht nur ein historischer Beweis von Vergangenem, sondern muss zur weiterführenden Klärung theologischer Problemstellungen offen sein.
Auswirkungen auf das Verhältnis von Kirche und Welt
„Dei Verbum“ lädt ausdrücklich alle Gläubigen ein, sich mit dem Wort Gottes in der Schrift zu befassen. Das beständige Lesen der Schrift bzw. das Hören des Wortes Gottes ist unabdingbare Voraussetzung der Glaubenspflege eines Christen. Die Gläubigen „sollen daran denken, dass Gebet die Lesung der Heiligen Schrift begleiten muss, damit sie zu einem Gespräch werde zwischen Gott und Mensch; denn „ihn reden wir an, wenn wir beten; ihn hören wir, wenn wir Gottes Weisungen lesen“[16]. Ergeben sich daraus auch Schlussfolgerungen für die Theologie als Wissenschaft? Zumindest scheint es vor diesem Hintergrund nicht möglich zu sein, Theologie zu treiben ohne dass der Theologe sich selbst mit in seine Reflexion einbringt. Das Treiben (auch der akademischen) Theologie wird so zur Anfrage an den eigenen Glauben. Auch dieser Aspekt findet Widerhall in der Theologiegeschichte.
Die Humanisten kritisierten die scholastische Logik indem sie darauf hinwiesen, dass die Wahrheit immer einen „Sitz im Leben“, also in soziologischen und anthropologischen Umständen habe. Kasper stellt fest, dass sich das auch mit Aristoteles belegen ließe, für den nicht nur seine „Logik“, sondern auch die „Poetik“ und die „Rhetorik“ Orte der Wahrheitsfindung gewesen seien. Jede spekulative Theologie reflektiert konkrete geschichtliche Herkunft des Glaubens im Hinblick auf mögliche Zukunft. Mit H. G. Gadamer schreibt Kasper: „Die praktische Anwendung ist ein Strukturmoment der Wahrheit selbst“. Dabei komme der Theologie zu Hilfe, dass der biblische Wahrheitsbegriff, im Unterschied zum hellenistischen, immer ein geschichtlicher ist. Inhalt des Glaubens und damit Wissenschaftsobjekt der Theologie, seien nicht allgemeine Prinzipien, sondern geschichtliche Verheißungen. Mit der eingeforderten Geschichtlichkeit von Theologie ist für ihn aber nicht zugleich die Allgemeingültigkeit des Glaubens in Frage gestellt. Kasper lehnt die These vom „Ende der Metaphysik“ wie sie „im Neukantianismus, im vulgären Psychologismus und Soziologismus, in philosophischer Reflexion bei M. Heidegger“ zu finden ist, rundweg ab. Jede Geschichte ergibt sich für ihn aus der Spannung zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit. Er stellt fest, dass der Mensch immer nach dem Sinn seines Daseins, und also nach metaphysischen Grundfragen, fragen wird. Mit Lotz formuliert Kasper „Geschichte schließt Tradition, gesellschaftliche Bindung, metaphysische Wesensstrukturen nicht aus, sondern ein“[17]. Glaubensaussagen erarbeiten von einem konkreten geschichtlichen Ausgang einen je neuen Zugang zum universalen Heilsgeschehen. Jahrzehnte nach seinem Aufsatz wird Kasper das zusammenfassend so formulieren: „So wie Gott in Jesus Christus nicht eine abstrakte allgemeine Menschheit angenommen hat, sondern konkret ‚dieser‘ Mensch Jesus von Nazareth geworden ist, so gilt analog, dass auch in der Kirche die in Jesus Christus erschienene Fülle des Heils in konkreter sichtbarer Gestalt anwesend ist“[18]. Sein Fazit bereits 1967 war: „Will die Theologie Christus wirklich als „concretum universale“ ausweisen, dann muss sie Wesensaussagen machen“[19]. Für Kasper wird der Glaube verstehbar indem theologische Einzelaussagen in das Geheimnis Gottes hinein reduziert werden. Christus sei die einmalige Konkretion des universalen Wesens jeder Geschichte. Systematische Theologie arbeite dies heraus. Dem Theologen komme dabei u. U. die Aufgabe zu, stellvertretend für die Welt metaphysische Fragen zu stellen, „um das geistige Bewusstsein seiner Zeit offen zu halten[20] (S.83). Damit leiste spekulative Theologie einen Dienst an der menschlichen Gesellschaft.
Schlussfolgerungen
Kaspers Entwurf einer neuen, der Theologie des Konzils angemessenen Methode lässt sich schematisch mit einigen Schlagworten umreißen:
- Historische und spekulative Dogmatik sind zwei Seiten eines einzigen Prozesses.
- Historisches Denken in der Theologie ist theologisch inspiriert. Spekulatives Denken muss geschichtlich verstanden werden.
- Dogmatische Methode hat sowohl gegenüber der Philosophie ihre eigene Tradition als auch gegenüber der historisch-kritischen Fragestellung ihr eigenes Formalobjekt.
- Dogmatik muss wieder mehr „Quaestio“ und weniger „Thesis“ sein. Sie fragt dort, wo es noch nicht von vornherein eine Lösung gibt. Sie lässt auch Anfragen „von außen“ zu.
- Das biblische Wort Gottes hält auch der aufgeklärten Vernunft stand. Aus dieser Sicherheit leitet Kasper ab, dass Theologie jenen „gelösten Humor“ haben kann, mit dem sie sich „allen Fragen“ stellt.
Seit dem Aufsatz von Walter Kasper sind über 50 Jahre vergangen und die Grundzüge seiner damaligen Überlegungen haben sowohl die theologischen Fächer als auch das Selbstverständnis von Kirche durchdrungen. Gleichwohl war auch sein Aufsatz in einen präzisen geschichtlichen Kontext hineingeworfen. War die Theologie bis zum Konzil allzu spekulativ, erscheint sie heute umgekehrt fast gar nicht mehr systematisierbar. Belastbare Aussagen von allgemeiner Gültigkeit widersprechen nicht nur innerhalb der Theologie weltfremd oder sogar inakzeptabel.[21] Außerdem stellt der soziale und technologische Fortschritt auch die Theologie vor Herausforderungen, die Kasper 1967 nur erahnen konnte. Nur vage sei hier darauf verwiesen, dass Menschen heute technisch in der Lage sind, sich selbst Resonanz- oder Echoräume zu schaffen, die nach außen abgeschlossen sind, und die ihr Leben gestalten. Was es für die Geschichtlichkeit von Theologie bedeutet, wenn solche Resonanz-Räume „Wirklichkeit schaffen“, die individuell oder je nach Gruppe geformt wird, ist auch außerhalb der Theologie noch nicht abzuschätzen. Dass damit erneut einer Weltfremdheit Raum geschaffen wird, verdeutlicht Papst Franziskus in seiner Kritik am „Neo-Gnostizismus“ unserer Zeit. „Diese Weltlichkeit kann besonders aus zwei zutiefst miteinander verbundenen Quellen gespeist werden. Die eine ist die Faszination des Gnostizismus, eines im Subjektivismus eingeschlossenen Glaubens, bei dem einzig eine bestimmte Erfahrung oder eine Reihe von Argumentationen und Kenntnissen interessiert, von denen man meint, sie könnten Trost und Licht bringen, wo aber das Subjekt letztlich in der Immanenz seiner eigenen Vernunft oder seiner Gefühle eingeschlossen bleibt.“[22] Der Pontifex kritisiert diesen „Neo-Gnostizismus“ öfter als regelrechte Häresie. Für zeitgenössische Theologen trifft er damit den Nerv heutiger Herausforderungen: Beim Neognostizismus reduziere der Mensch religiöse Erfahrung auf eine gefühlsbedingte Regung der Seele und schotte diese von jedem politischen Handeln und Austausch ab. Schreiben Isabella Guanzini und Kurt Appel. In einem synkretistischen Geist würden kosmologische Vorstellungen und Formen von Mystik individuell zusammengestellt. Die damit untermauerte Ich-Bezogenheit führe zu einer Vergöttlichung des Menschen, zu einem übersteigerten „Ich“ und zu einer Weltfremdheit. [23]
Auch die Fragen, die Walter Kasper nach dem Konzil gestellt hat, müssen wohl neu gestellt und neu beantwortet werden.
[1] Metz, Johann B.: Jenseits bürgerlicher Religion. Reden über d. Zukunft d. Christentums, München: Kaiser 41984 (= Gesellschaft und Theologie Forum polit. Theologie 1).
[2] Kasper, Walter: Die Methoden der Dogmatik, München:Kösel 1967 (= Kleine Schriften zur Theologie), S.11.
[3] Ebd. S.12
[4] Kasper, Die Methoden der Dogmatik, 1967, S.16
[5] Ebd., 18.
[6] Rahner, Johanna: Theologie der Verkündigung: Ein Projekt zwischen Geschichte und Dogma? Der springende Punkt zur theologischen Gesamtkonzeption von Hugo Rahner, in: Zeitschrift für Katholische Theologie (ZKTh) 141 / 2/3 (2019).
[7] Kasper, Die Methoden der Dogmatik, 1967, S. 29.
[8] Sauter, Gerhard: Die systematische Theologie, in: Lohff, Wenzel (Hg.): Wissenschaftliche Theologie im Überblick. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1974 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 1402), S. 49.
[9] Kasper, Die Methoden der Dogmatik, 1967, S. 39.
[10] Vgl DV 24; Dekret „Optatam Totius“. Über die Ausbildung der Priester 1965, Nr. 16, in: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decree_19651028_optatam-totius_ge.html [abgerufen am 27.10.2019].
[11] Kasper, Die Methoden der Dogmatik, 1967, S. 43.
[12] Kasper, Die Methoden der Dogmatik, 1967, S. 48.
[13] Ebd. S. 50
[14] Kasper, Die Methoden der Dogmatik, 1967, S. 57.
[15] Ebd. S. 60
[16] Dogmatische Konstitution „Dei Verbum“. Über die Göttliche Offenbarung. (DV) 1965, Art. 25 in: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651118_dei-verbum_ge.html [abgerufen am 27.10.2019], 25.
[17] Kasper, Die Methoden der Dogmatik, 1967, 78.
[18] Kasper, Walter: Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung, Freiburg, Basel, Wien: Herder 42012, S. 261.
[19] Kasper, Die Methoden der Dogmatik, 1967, S.79.
[20] Ebd. S. 83
[21] Eine Andeutung zum Problem zum Neben- oder Miteinander pluralistischer Positionen in der Theologie findet sich bereits bei Sauter, Die systematische Theologie, 1974.
[22] Papst Franziskus: Apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“. Über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute 2013 (2013), Nr. 94.
[23] Guanzini, Isabella / Appel, Kurt: Il neognosticismo, Cinisello Balsamo (Milano): San Paolo 2019 (= I semi teologici di Francesco), S. 71–81.
Literaturverzeichnis
Dekret „Optatam Totius“. Über die Ausbildung der Priester 1965 (1965), in: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_decree_19651028_optatam-totius_ge.html [abgerufen am 27.10.2019].
Dogmatische Konstitution „Dei Verbum“. Über die Göttliche Offenbarung. (DV) 1965 (1965), in: http://www.vatican.va/archive/hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_const_19651118_dei-verbum_ge.html [abgerufen am 27.10.2019].
Guanzini, Isabella / Appel, Kurt: Il neognosticismo, Cinisello Balsamo (Milano): San Paolo 2019 (= I semi teologici di Francesco).
Kasper, Walter: Die Methoden der Dogmatik, München: Kösel 1967 (= Kleine Schriften zur Theologie).
Kasper, Walter: Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung, Freiburg, Basel, Wien: Herder 42012.
Metz, Johann B.: Jenseits bürgerlicher Religion. Reden über d. Zukunft d. Christentums, München: Kaiser 41984 (= Gesellschaft und Theologie Forum polit. Theologie 1).
Papst Franziskus: Apostolisches Schreiben „Evangelii Gaudium“. Über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute 2013 (2013).
Rahner, Johanna: Theologie der Verkündigung: Ein Projekt zwischen Geschichte und Dogma? Der springende Punkt zur theologischen Gesamtkonzeption von Hugo Rahner, in: Zeitschrift für Katholische Theologie (ZKTh) 141 / 2/3 (2019) 348–363.
Sauter, Gerhard: Die systematische Theologie, in: Lohff, Wenzel (Hg.): Wissenschaftliche Theologie im Überblick. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1974 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 1402), 48–55.